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Warm anziehen für 2013: Wie China noch stärker werden könnte

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Bild zu: Warm anziehen für 2013: Wie China noch stärker werden könnte Wanderarbeiter

Wie in biblischen Zeiten müssen die Chinesen für viele Behördengänge in ihre Geburtsstadt zurückkehren. Doch die Haushaltsregistrierung bremst die Wirtschaft. Wird sie gelockert, könnte China noch schneller wachsen.

Von CHRISTIAN GEINITZ, Peking

Wir haben es gerade wieder all überall gehört: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde”, schreibt der Evangelist Lukas über die Geburt Jesu. „Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.” Maria muss mit ihrem Mann nach Bethlehem reisen, da Josef aus dem dort ansässigen „Hause und Geschlechte Davids war”. Was dann geschah, feiern die Christen als das Weihnachtsfest. Hinter der Frohen Botschaft tritt die Zählung der römischen Steuerpflichtigen berechtigter Weise in den Hintergrund: Nirgendwo erwähnt die Bibel, ob sich das Paar mit dem besonderen Neugeborenen wirklich erfassen ließ.

Die Chinesen von heute, viele ähnliche Einkindfamilien wie Josef und die Seinen, kennen die Mühen der administrativen Reisen in ihre Heimatorte. In der Volksrepublik gilt ein kompliziertes Einwohnermeldesystem, „Huji” oder „Hukou” genannt, das stark an die biblischen Zeiten erinnert. Für jeden wichtigen Behördengang müssen die Bewohner an den Ort zurückkehren, wo sie, zumeist seit ihrer Geburt, registriert sind. Das gilt vor allem für die rund 220 Millionen Wanderarbeiter.

Offiziell gemeldet sind sie in ihren Dörfern im Inland, wirtschaftlich aktiv aber werden sie oft viele hundert Kilometer entfernt in den Industriehochburgen der Küsten. Deshalb leben mittlerweile mehr als die Hälfte der Chinesen in Städten, doch nur 35 Prozent haben einen urbanen „Hukou” und genießen somit alle Rechte der Städter. Den Wohnsitz offiziell zu wechseln, ist nur den wenigsten vergönnt und ohne Geldzahlung oder Fürsprache höherer Stellen – etwa der Staatskonzerne – fast unmöglich.

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Die 27 Jahre alte He Meihua etwa stammt aus der Landprovinz Anhui. Sie arbeitet aber im mehr als 1100 Kilometer nördlich gelegenen Peking als Haushaltshilfe, weil sie dort doppelt so viel verdient. Eigentlich kommt sie nur zweimal im Jahr in ihr Dorf zurück: zum chinesischen Neujahrsfest und in der „Goldenen Urlaubswoche” rund um den Nationalfeiertag am 1. Oktober. „Aber immer wenn etwas Wichtiges auf dem Amt zu erledigen ist, müssen wir nachhause”, sagt sie und meint damit sich und ihren Mann, der in Peking auf dem Bau arbeitet. Das war bei ihrer Hochzeit so, bei der Beantragung zur Geburt ihres Kindes – dazu bedarf es einer Erlaubnis – und ebenso bei der Ausstellung der Geburtsurkunde.

Auch wenn der Personalausweis ausläuft, wenn sie einen Reisepass oder ein Visum beantragen oder wenn sie von ihrem eingeschränkten Wahlrecht Gebrauch machen wollen – immer dann müssen sie die lange Reise von Peking auf sich nehmen. Ihre fünfjährige Tochter wohnt bei den Großeltern in Anhui und wird dort bleiben. Das auch deshalb, weil  Kinder von Wanderarbeitern in Peking nur mit Mühe eingeschult werden können.

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Es gibt zwar spezielle Schulen für Auswärtige, die aber haben einen schlechten Ruf. Normale öffentliche Anstalten lassen nur eine begrenzte Zahl fremder Kinder zu oder nehmen Extragebühren für die Aufnahme. Spätestens wenn die Schüler das „Gaokao” genannte Eintrittsexamen für Universitäten ablegen wollen, das chinesische Abitur, müssen sie an eine Schule in ihrer Heimat zurückkehren. Der Grund dafür ist, dass es mit den Abschlüssen aus den Metropolen einfacher ist, zu den guten Hochschulen zugelassen zu werden – die zumeist ebenfalls in diesen Weltstädten liegen. Nicht nur die Kinder, auch die Eltern werden benachteiligt. Anders als Pekinger Bürger mit geringem Einkommen haben Zugereiste wie He und ihr Mann keinen Anspruch auf verbilligte Sozialwohnungen. Und sollten sie einst auf die Wohlfahrt angewiesen sein, könnten sie in der Stadt keine Sozialhilfe beziehen.

Neben moralischen Bedenken sprechen auch handfeste wirtschaftliche Gründe gegen das Hukou-System. Es erschwert die Freizügigkeit von Arbeitskräften, senkt deren Produktivität und verringert den Konsum, weil die Betroffenen in Ermangelung sozialer Sicherheit selbst vorsorgen müssen. Auch belastet es die Infrastruktur und erhöht die Transaktionskosten.

Die Reisewelle zum chinesischen Neujahrsfest ist alljährlich die größte Migrationsbewegung der Welt. Viele Arbeitskräfte kehren aus dem Urlaub nicht zurück oder lassen sich nur mit Extrazahlungen dazu bewegen. „Das Hukou-System ist aus der Zeit und muss reformiert werden”, sagt Tao Ran, Professor für Volkswirtschaft an der Renmin-Universität in Peking. „Zumindest solche Wanderarbeiter, die schon länger in den Städten leben und ordentlich verdienen, sollten wir dort auch registrieren.”

Tao erinnert daran, dass die Zuzugsbegrenzungen aus den fünfziger Jahren stammen, als die Landwirtschaft aufrechterhalten werden musste, es in den Städten nicht genügend Arbeit gab und daher urbane Verelendung drohte. Doch seitdem hat sich die Lage grundlegend gewandelt. Durch Flächenzusammenlegung, bessere Anbaumethoden und Automatisierung hat die agrarische Effizienz zugenommen. Gleichzeitig sind in den Industriezentren im Perlfluss- oder Jangtse-Delta weiterhin die Arbeitskräfte knapp.

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Freilich gibt es viele Wanderarbeiter, die ihren ländlichen Hukou gar nicht gegen einen städtischen tauschen wollen. Denn an der dörflichen Registrierung hängen der Besitz des  Bauernhauses und das Nutzungsrecht für Grund und Boden. Dergleichen gilt als Privileg, weil überall sonst die Eigentumsrechte beim Staat liegen.

Chinas neue Führung will endlich ernst machen mit der Reform der Haushaltsregistrierung. Der künftige Regierungschef Li Keqiang möchte die Urbanisierung vorantreiben und den Binnenkonsum stärken, um unabhängiger von Exporten zu werden. Doch das dürfte nur zu erreichen sein, wenn das Meldewesen gelockert oder ganz abgeschafft wird.

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Das wäre ein echter Einschnitt, denn Vorformen des „Hukou” gibt es in China schon seit Jahrhunderten. Die ersten Familienregistrierungen sind für die Xia-Dynastie belegt. Schon damals sollten sie die Besteuerung und die Kontrolle der Untertanen erleichtern. Das war mehr als 1600 Jahre, bevor Christus in Bethlehem geboren wurde.

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Fotos: itz.

von erschienen in Akte Asien ein Blog von FAZ.NET.


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